GITEC-Meeting 2020: Physik des Magnettonabnehmers

Sucht man im WWW nach technischen Informationen über Gitarrentonabnehmer, wird man schnell fündig: Frequenzgänge, Impedanzen, Induktivitäten, Magnetflüsse. Die Crux: die meisten dieser Infos sind falsch, weil von technischen Laien erstellt. Noch relativ simpel ist es, den DC-Widerstand eines Tonabnehmers zu messen – doch weil dieser nicht bei DC arbeitet, ist der DC-Wert so gut wie völlig irrelevant. Eine Induktivität zu bestimmen (und drei­stellig zu publizieren :-)) ist da schon anspruchsvoller, scheint jedoch mit einem Multimeter machbar. Das Problem hierbei: Die induktive Komponente der Tonabnehmer-Impedanz ist keine Konstante! Je nach Bauart kann L im relevanten Frequenzbereich um bis zu 70% abnehmen (Abb. 1). Und ob ein Pickup 2.8H oder 0.84H hat … das müsste eigentlich schon als wesentlich erachtet werden.

Abb. 1: Auf den tieffrequenten Grenzwert normierte Induktivitäts-Frequenzgänge verschiedener Gitarren-Tonabnehmer

Um etwas Licht in das Dunkel der WWW-Märchen zu bringen, veranstaltet GITEC seit nunmehr 6 Jahren Tagungen zur Gitarrentechnik – in diesem Jahr mit Fokus auf die Gitarrentonabnehmer. Die Tagung beginnt mit einem Vortrag von Prof. Zollner zum Thema: Physik des Magnettonabnehmers. Man könnte meinen, seit der „Physik der Elektrogitarre“ sei doch schon alles gesagt, doch behandelt dieses 1260-seitige Werk ein Thema ziemlich kurz: die Tonabnehmer-Magnetik. Dieses Defizit wird nun behoben, Zollner wird erstmalig ausführlich über seine FEM-Analysen berichten. FEM, das sind numeri­sche Berechnungen nach der „Finite-Elemente-Methode“. Ein Untersuchungsobjekt (z.B. das Magnet­feld eines Pickups) wird hierzu in winzige Pyramiden aufgeteilt, an deren Endpunkten der PC die Feld­gleichungen lösen muss. Abb. 2 zeigt als Beispiel einen Tele-Pickup. Im Bild ist nur die angeschnittene Blechkappe mit Spule und Magneten dargestellt, tatsächlich muss auch noch der Luftraum diskretisiert werden. So erreicht man schnell Abermillionen winziger Tetraeder, zu deren Berechnung auch ein schneller PC einige Stunden benötigt.

Abb. 2: In viele Tetraeder aufgelöste Teile eines Telecaster-Pickups.

Das Ergebnis ermöglicht dann aber Erkenntnisse, die eine analytische Berechnung nie offenbaren könnte. So sieht man z.B. genau, wo und warum ungeeignete Bleche die Höhen fressen, und warum die Billig-Tele so gar nicht nach Tele klingen will (Abb. 3).

Abb. 3: Wirbelströme in der Montageplatte eines Telecaster-Pickups.

Es sind vor allem zwei Themenbereiche, die in pseudowissenschaftlichen Magnetfeld-Texten falsch darge­stellt werden: Die Permeabilität und die Magnetfeldform. Oft sieht das Magnetfeld aus wie in Abb. 4. Das ist nun nicht komplett falsch … aber eben nur der unwichtige Teil der Wahrheit. Der Fehler liegt nicht so sehr in der approximierten Form der Feldlinien (darüber könnte man hinweg­sehen), der Fehler ist, dass nicht zwischen statischem und dynamischem Feld unterschieden wird.

Abb. 4: https://lawingmusicalproducts.com

Das statische Feld erstreckt sich in weiten Bögen vom Nord- zum Südpol, da taugt Abb. 4 als grobe Näherung. Das von der schwingenden Saite erzeugte dynamische Feld hat demgegenüber eine ganz andere Form: es ist viel mehr auf den Bereich zwischen saitennaher Polplatte und Saite konzentriert. Es dringt in relevanter Stärke aber nur wenige Millimeter in die Tonabnehmerspule ein, und hier kommen wir zum zweiten Problemkind der WWW-Mythen: der Permeabilität. Wenn man nicht zu unterscheiden weiß zwischen differentieller und reversibler Permeabilität, wenn man als Magnet-Kriterium einzig allein die Remanenz-Flussdichte betrachtet, zieht man falsche Schlüsse. Die Stärke des Magnetfeldes ist ein wichtiger Parameter für die „Lautstärke“ (Empfindlichkeit) des Tonabnehmers. Ein starkes Wechselfeld hilft aber rein gar nichts, wenn es nicht in die Spule eindringt. Hierfür wird die Permeabilität gebraucht. Die reversible – mit der differentiellen wird’s grottenfalsch. Je höher die reversible Permeabilität, desto weiter dringt das Wechselfeld in die Spule ein, und desto mehr Spannung wird erzeugt (induziert). Dummerweise gibt’s da keine Proportionalität, die stärksten Magnete sind nicht die mit der höchsten reversiblen Permeabilität. Verwirrend? Vielleicht – aber dafür gibt’s ja den Zollner-Vortrag auf der GITEC-2020, da werden die Zusammenhänge ausführlich erklärt.

Noch ein paar Bilder als Vorgeschmack: Abb. 5 zeigt die Axial-Magnetisierungen von Saite und Zylinder­magnet; einmal für das statische DC-Feld, daneben für das dynamische AC-Feld. Klar erkennbar: Die unter­schiedliche Feldverteilung im Magneten. Die mit den FEM-Berechnungen erzielten Ergebnisse passen gut zu Messungen an realen Systemen, und liefern eine erstaunliche Antwort auf die Frage, ob denn nun Alnico-2, -3, -4, -5, -6 oder -8 die für Gitarren-Tonabnehmer bestgeeignete Magnetlegierung ist. Das Ergebnis dürfte auch Experten überraschen, mehr darüber im Vortrag.

Abb. 5: Axialflussdichten für Saite und Magnet. Links DC, rechts AC, unterschiedliche Skalierungen.

Mit Abb. 6 wird ein weiteres Geheimnis gelüftet: Wie wichtig ist das Material der magnetfeld­führenden Ferromagnetika? Wie man sieht (und eigentlich erwarten muss), ist die Fluss­dichte in den Schrauben­schäften hoch, der Sättigungsbereich ist schon in Reichweite. Noch wichtiger: Bereits bei mittleren Frequen­zen verdrängen Wirbelströme den Magnetfluss in die Randzonen, d.h. in die Gewindegänge! Und wie E-Technikstudierende im ersten Semester lernen: Ströme in Metallen produzieren Wirkleistung, und die – so lehrt der Energiesatz – kann nur von der schwingenden Saite kommen. Je mehr Wirkleistung in den Schrauben erzeugt wird, desto weniger Spannung steht an der Buchse zur Verfügung. Für die verwendeten Schrauben und sonstigen Ferromagnetika gilt: Die spezifische Leitfähigkeit sollte möglichst klein sein, die reversible Permeabilität relativ groß. Die zweite Forderung zu erfüllen ist leicht, die erste relativ schwer.

Abb. 6: Flussdichte in den P90-Schrauben bei verschiedenen Frequenzen.

Bei den Humbuckern (Abb. 7) gibt es nicht nur Schrauben, sondern auch Slugs. Deren Magnetfluss­dichte ist deutlich geringer, was nicht erstaunt: die Querschnittsfläche ist ja auch deutlich größer. Das Wirbelstromverhalten von Schrauben und Slugs ist wegen dieser Geometrieunterschiede unterschied­lich, mit verschiedenartigen Materialien lassen sich deshalb Frequenzgang und/oder Brummunter­drückung optimieren.

Abb. 7: Magnetflussdichten im Humbucker.

Damit das Thema Magnettonabnehmer nicht zu theoretisch wird, gibt es auf der GITEC-2020 natürlich auch noch die Praxis: Wir haben zwei Gitarren so modifiziert, dass sich für Hörversuche Tonabnehmer und Magnete in Sekundenschnelle tauschen lassen (Abb. 8). Derartige Versuche erleichtern die Entscheidung, ob man bei seiner Gitarre die Pickups tauscht. Oder die Magnete. Oder nichts.

Testgitarre für HörversucheTestgitarre für Hörversuche

Abb. 8: Testgitarren für Hörversuche [Fotos: W. Hönlein, M. Zollner]

Interesse geweckt? Infos und Teilnahme-Details unter Meetings. GITEC-Mitglieder nehmen kostenlos teil (39 €/Jahr), Nichtmitglieder zahlen 50€/Tag.
Zurzeit gehen wir davon aus, dass die Tagung als Präsenzveranstaltung statt­finden kann, dass sich also alle gesetzlichen Auflagen erfüllen lassen. Sollte das nicht möglich sein, ist eine Online-Veranstaltung in Planung. Ausfallen lassen wollen wir’s nicht, denn die Veröffentlichung wissenschaftlicher Erkennt­nisse ist unsere satzungsmäßige Pflicht. Da unterscheiden wir uns vom selbsternannten Gitarren-Guru: dessen Exzerpte sind, wie die Wissenschaft sagen würde, Ignis flatus, äh... fatuus.